Botschaften

Doppelspiel und verschlüsselte Botschaften

Die Werbefotografen übermitteln Botschaften und leiten die besondere Eignung des Mediums Fotografie für die Werbung aus folgenden traditionellen Sachverhalten ab:

  • Das fotografische Bild besitzt die Fähigkeit, die Realität gleichsam wirklicher vorzustellen als sie ist, es verleiht Authentizität.
  • Das dargestellte Produkt lässt sich besser wiedergeben (Ästhetisierung)
  • Das fotografische Bild kann wirkungsvollere Aussagen machen, es ist besser „lesbar“.
  • Im Gegensatz zur Fotografie kann eine Zeichnung niemals den Eindruck vermitteln, die dargestellte Sache ließe sich mit den Fingern berühren.

Wenn jedoch das Argument des Realismus zutrifft, so müsste sich der Betrachter oder der potentielle Konsument mit einer simplen realistischen Wiedergabe zufriedengeben, die ein sorgfältig gemachtes Amateurfoto ebensogut liefern könnte. Zwar ist es unerlässlich, dass das Produkt auf dem Bild wiedererkannt wird; will der Hersteller aber dieses Produkt en gros absetzen, muss er durch den Werbefotografen einen zusätzlichen Sinn in das Bild bringen lassen. Ähnlich dem ökonomischen Gut, das weit mehr erfasst als die bloße Ökonomie, so bedeutet der auf dem Foto realistisch abgebildete Gegenstand weit mehr als die Realität. Das dar-gestellte Objekt muss seinen realistischen Gehalt gewissermaßen transzendieren, es muss mehr Bedeutungen haben, als die Fotografie als solche aufweist.

„Der Imperativ der Werbung bringt sich dieser Notwendigkeit in Erinnerung, die Fotografie mehr aussagen zu lassen, als sie sagen würde, überließe man sie einzig ihrem Realismus. Zugleich erfordert er jedoch, diesen Realismus so einzusetzen, als sei er nur realistisch und sonst nichts, so dass die Intentionen, mit denen er die Fotografie auflädt, selbst wieder als realistisch wahrgenommen werden, d.h. dass die Übersteigerung des Produkts von der Glaubwürdigkeit profitiert, die dem fotografischen Bild gutgeschrieben wird.“

In dieser Strategie sieht Lagneau das Doppelspiel der Werbefotografie. Es beruht auf dem vielfältigen Gebrauch, der von der Fotografie gemacht wird, aber auch auf den variablen Bedeutungen, die ihr von der Gesellschaft zugesprochen werden. Fotografie kann in dem Maße für die Werbung eingesetzt werden, so Lagneau,

„wie ihre Definition der vollkommenen und mechanistischen Objektivität die unterschiedlichsten sozialen Funktionen umschließt.“

Alle Ausdrucksformen in der Werbung sind zweideutig; und ohnehin gehört dieser Dualismus zum Wesen jeder Werbung. Roland Barthes unter-scheidet in jedem Werbeslogan zwei grundlegende Botschaften. Die er-ste Botschaft ist rhetorischer Art, sie dient dazu die zweite, visualisierte, überzeugend zu machen. Die Metapher, derer sich die Werbung dabei häufig bedient, darf indes nicht zu kompliziert, sie muss „lesbar“ sein. Aus einem phantastischen Bild muss der Werbefotograf ein reales machen. Ist die Differenz freilich zwischen dem realistischen Gehalt und der visuellen Rhetorik zu groß, leidet die Glaubwürdigkeit und das Bild entzieht sich der Aufmerksamkeit des Publikums. Nur wenn das Produkt allgemein als unbedeutend gewertet wird, kann das der Werbung zugrunde gelegte Doppelspiel in gewissen Grenzen einer Beliebigkeit anheimgestellt werden. In diesem Fall kann der Fotograf dem Produkt ein mehr oder weniger willkürliches fotografisches Bild einfügen, von dem allenfalls er-hofft wird, dass es dem Interesse des Publikums zugänglich ist. Als Bei-spiel möchte ich auf das Reklamebild eine alkoholischen Getränks verweisen: Gezeigt wird eine ‚Doornkaat‘-Flasche von der, um die Metapher des Entkleidens zu symbolisieren, das Etikett und die Banderole davonzuschweben scheinen. Der Text dazu lautet:
„Als vor 89 Jahren in Paris der erste öffentliche Striptease gezeigt wurde, war Doornkaat schon 87 Jahre lang die Enthüllung für den Genießer.“

Gleichwohl muß sich der Werbefotograf, so Lagneau, quasi vor dem visuellen Schockeffekt hüten. Wenn er nicht will, dass das Produkt liegen bleibt, muss er vermeiden, es beispielsweise mit einem „Pin-up-Girl“ anpreisen zu wollen.

„Der Realismus ist Waffe und Hemmschuh zugleich. Eine der Regeln des Doppelspiels gebietet, dass der Bluff die Grenzen des Wahrscheinlichen nicht überschreiten darf. Indem sie sich einer realistischen Camouflage bedienen, versagen sich das zu illustrierende Argument und die Aussage, die bildhaft vertreten werden soll, jede Freiheit, die die Sprache der Werbeanzeige gewährt.“

Gerade in der gänzlich einfachen Darstellung sind die Manipulationsmechanismen kaum subtiler. So verschwindet beispielsweise in der Industriefotografie die Intention der visuellen Aufwertung hinter dokumentarischen oder juristischen Geboten. Häufig wird im Gegensatz zur konventionellen Werbefotografie der Gegenstand scheinbar mit keiner äußeren Rhetorik geschmückt. Deshalb auch beansprucht die Industriefotografie, wenn sie zum Beispiel eine Aktentaschenkollektion für ein Versandhauskatalog fotografiert, ein hohes Maß an Authentizität, die den übrigen Werbebildern so ohne weiteres nicht zugedacht wird. Außerdem entzieht sie sich in der scheinbar authentischen, sachlichen Darstellung dem der übrigen Werbung gemachten Vorwurf, die subtilen Mechanismen der heimlichen Überredung anzuwenden.

Während die Zweideutigkeit, Lagneau zufolge, im verbalisierten Werbe-text noch deutlich entfaltet werden kann, muß indes die wahre Absicht der Fotografie hinter einer äußeren Fassade versteckt werden, die als anerkannt gilt.

„Sie kann sich nicht den unerhörten Schwindel erlauben, der wenigstens amüsiert, wo er nicht überzeugt, und ihre wachsende Verwendung entspricht der Geschichte der ganzen Werbung, wenn es wahr ist, dass in dieser der ungehobelte Marktschreier seinen Platz mehr und mehr dem Manne abtreten muss, der mit wissenschaftlichen und ausgeklügelten Methoden die Massen manipuliert.“

Wenngleich der Leser einer Zeitschrift diesen Bildern keine Beachtung schenken mag, viel entscheidender ist – und dies dürfte die eigentliche Intention der Werbeindustrie sein, die mit penetranter Regelmäßigkeit ihre Anzeigen immer wieder abdrucken lässt – dass die Werbeanzeigen sein Bewusstsein gleichsam als Residuen im Unbewussten ablagern, damit, einem Automatismus gehorchend, der unkontrollierte Kaufreflex im richtigen Moment sich einstellt. Um solche „Bedürfnisse“ noch zuverlässiger manipulieren zu können, verlässt sich der Werbefotograf längst nicht mehr auf seine eigenen, der Willkür unterworfenen Intentionen. Viel-mehr bemüht er den „Motivforscher“ – seit Anfang der fünfziger Jahre zu einem festen Bestandteil der Werbung geworden – welcher die das Kauf-verhalten der Menschen leitenden unbewussten Anteile erkundet und erfasst.

Allein die Kenntnis des Publikums durch den Fotografen reicht freilich noch nicht aus. Der Werbefotograf muss, darauf verweist Lagneau, gleichermaßen über eine ausreichende Kenntnis des Produkts verfügen, d.h. er muss

„eine kurzgefasste Psychoanalyse des fotografierten Gegenstandes“ berücksichtigen und diesen zudem „in einem Ensemble von Dekorations-stücken, Accessoires, Mannequins und Lichtern (zeigen), die allesamt ‚eine Anmutung schaffen‘ sollen.“

Erst durch den jeweiligen Kontext, in dem das Objekt sich zeigt, qualifiziert es sich: Das Produkt gewinnt durch das Ambiente an Glaubwürdigkeit und gibt umgekehrt diese an das Ambiente zurück. Lagneau bezeichnet diesen Vorgang als eine zweifache Übertragung,
„als ob eine besondere Situation ein Massenprodukt zu etwas Besonderem machen und ein wirklicher Gegenstand einer unwirklichen Szene Wirklichkeit verleihen könnten.“

Besonders auffällig zeigt sich dieser Aspekt in den Schaufenstern der Warenhäuser, die ja nichts anderes realisieren, als eine Art fotografischer Auslage:

„Die Schaufenster und Modeabteilungen der Warenhauskonzerne zeigen nicht mehr Einzelstücke und Charaktere (der sportlich-Tapfere, der korrekt-Fleißige), sondern verkaufen Psychozustände und ganze Lebenskonzepte im Environment. Vom musikalischen Background geworben, kann der Käufer direkt in das Arrangement hineingehen und, quasi zum Antesten, sich unter die lebensgroßen Puppen gesellen, wobei das atmosphärische Angebot von erotischen Schlaf- und Wohnlandschaften bis zur lasziven Gewaltlust im „Bonney M.“-Stil reicht, dessen brutales Styling die Umwege individueller Gestaltung abkürzt auf die direkte Schaustellung kapital-funktionaler Triebdisposition: die Geschlechtsrollen von Zuhälter und Nutte.“

So bringt das Werbebild das Publikum in den „Grenzen des Denkbaren“ nicht nur zum Träumen, vielmehr werden Träume wahr, indem es diese einem bestimmten Publikum als zugänglich vorstellt. Lagneau macht allerdings darauf aufmerksam, dass die projektive Anstrengung des Publikums nicht entmutigt werden darf, d.h. in der dargestellten Situation müssen die eigenen Ansprüche eines gesellschaftlich definierten Betrachters noch erkennbar sein. Eine betont distinguierte Frau wird sich kaum in ein Bild des Luxus projizieren, das ihr vulgär erscheint. Wenn dagegen für eine billige Seife geworben wird, indem eine Frau in auf-wendiger Abendgarderobe vor einem hellerleuchteten Opernhaus gezeigt wird. so wird allemal die Vorstellung von Eleganz und Luxus all jener Frauen unterstützt, die in bescheidenen Verhältnissen leben. Einzig durch das Bild ist diese Projektion freilich noch nicht zu erzeugen. Die eigentliche Botschaft – Lagneau spricht von Allegorie – welche die Werbefotografie verkörpert, erhält ihren vollen Sinn erst in der sprachlichen Aussage. Sie liefert gewissermaßen den Schlüssel zu dieser Botschaft. Freilich enthält das Reklamebild nicht nur eine Ansammlung konkurrierender Botschaften, es ist ebenso eine spezifische Sprache die – bei aller Unterschiedlichkeit der Produkte – stets für dasselbe allgemeine Angebot ein-gesetzt wird. Zwar besteht zwischen diesem und jenem Auto, zwischen dieser und jener Zigarettenmarke eine Wahlmöglichkeit, gleichwohl

„bietet die Werbung als Ganzes nur eine einzige Sache an.“

Dem Betrachter wird angeboten, sein Leben positiv zu verändern, indem er etwas mehr kauft; im fotografischen Bild präsentiert sich die realistische Darstellung einer glückverheißenden Moral. Anders gewendet, ließe sich sagen: Das Werbefoto beseitigt die positive Selbsteinschätzung des Konsumenten, um sie gegen den Preis der Ware wieder anzubieten.
Nach Berger darf die Werbung keinesfalls mit dem Genuss oder dem Vorteil verwechselt werden, den man durch das angepriesene Produkt ha-ben kann. Zwar richtet sie sich zunächst an das natürliche Genussbedürf-nis des Betrachters, kann aber niemals das wirkliche Lustobjekt und auch keinen ausreichenden Ersatz für den Genuss bieten. Deshalb, so Berger, kann die Werbung es sich nicht leisten, sich ausführlich mit den Möglichkeiten, die eine Ware verheißt, zu befassen. Sie feiert nicht den Genuss um seiner selbst willen, sondern beschäftigt sich mit den potentiellen, dem künftigen Käufer. Diesem wird ein Bild seiner selbst angeboten, das durch den Gebrauch der Ware aufwertet oder gänzlich erneuert wird.

„Dieses Bild verführt ihn zum Neid auf sich selbst, so wie er sein könnte. Doch was macht dieses Selbst, das er sein könnte, so beneidenswert? Es ist der Neid der anderen. Werbung befasst sich nicht mir Objekten, sondern mit gesellschaftlichen Beziehungen. Sie verspricht keinen Genuss, sondern Glück – Glück, wie andere es von außen verstehen. Und das Glück beneidet zu werden, ist ‚Glamour‘.“